Ibrahim Mahama ist bekannt für seine Gebäudeverhüllungen mit Jutesäcken. Zumindest lernte ich seine Arbeit auf den großen europäischen Kunstausstellungen – 2015 auf der Biennale in Venedig und 2017 in Kassel auf der documenta 14 – so kennen. In diesen Jutesäcken, die eigentlich in Asien produziert werden, verpackt und transportiert man in Ghana normalerweise Kakaobohnen. Ist der Kakao erst einmal herausgenommen, werden diese Säcke als Behältnisse für Waren aller Art weiterverwendet. Abgewetzt, verschmutzt und manchmal mit Angaben zu ihrem Inhalt oder Ähnlichem bedruckt, lässt Mahama diese Säcke von einer Schar von Kollaborateurinnen und Kollaborateuren zu riesigen Stoffbahnen zusammennähen. Als gewaltige, überdimensionierte Leinensäcke werden sie dann zu einer Art monumentaler, aber aufgrund des Materials lebendiger und zurückgenommener „fassadenverhüllender Malerei“. In Ghana hat Mahama im Laufe der Jahre diverse Gebäude verhüllt, darunter auch eine Reihe von modernistischen Bauten aus der Aufbauphase nach der Unabhängigkeit Ghanas im Jahr 1957; Gebäude, die nicht selten von Architektinnen und Architekten aus sozialistischen Ländern geplant wurden. In einer paradoxen Bewegung werden diese Gebäude und die ihnen innewohnende Geschichte in der Verhüllung markiert und hervorgehoben: riesenhafte Säcke, die Häuser enthalten, die wiederum oftmals vergessene oder zumindest nicht mehr wahrgenommene Geschichten und Geschichte speichern. Gleichzeitig werden diese Gebäude mit der komplexen Ökonomie (und nicht zuletzt deren historischer Dimension) überschrieben, deren Ausdruck diese Säcke sind: von der Geschichte der Kakaoplantagen und der kolonialen Ausbeutung von Rohstoffen und Ressourcen, von der Wieder- und Weiterverwendung, von – ganz allgemein ausgedrückt – Logistik, Warenverkehr und einem Leben unter dem Regime eines weltumspannenden Kapitalismus und seiner Mechanismen der Extraktion. Denn Ghana ist neben seinem westafrikanischen Nachbarn Elfenbeinküste der größte Kakaoproduzent der Welt. Fast alles ist jedoch für den sofortigen Export in den globalen Norden bestimmt. Vom Wohlstand, der mit Kakao erwirtschaftet wird, bleibt so gut wie nichts im Land hängen. (Auszug aus Entry Points von Dominikus Müller, 2021)
Ibrahim Mahama wurde 1987 in Tamale, Ghana, geboren. Er lebt und arbeitet in Accra, Kumasi und Tamale. Seine Arbeiten sind und waren in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen, darunter: Sharjah Biennale (2023); 18. Architekturbiennale, Venedig (2023); Vienna Biennale of Change (2021); 22. Biennale von Sydney (2020); Stellenbosch Triennale (2020); 6. Lubumbashi Biennale, Demokratische Republik Kongo (2019); 58. Venedig Biennale (2019); Documenta 14, Athen und Kassel (2017); 56. Venedig Biennale (2015). 2023 kuratiert Mahama u.A. die 35. International Biennial of Graphic Arts in Ljubliana, Slowenien. 2019 eröffnete er das von Künstlerinnen und Künstlern betriebene Savannah Centre for Contemporary Art (SCCA) in Tamale in Ghana. Darauf folgten in 2020 die Red Clay Studios im nahe gelegenen Janna Kpeŋŋ und in 2021 Nkrumah Volini. Alle Standorte beherbergen Ausstellungsräume und dienen als Forschungseinrichtungen und Zentren für Künstleraufenthalte. Sie sind Mahamas Beiträge zur Entwicklung und Erweiterung der zeitgenössischen Kunstszene in seinem Heimatland. Zudem beinhalten sie kontinuierliche Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche.