Claus Georg Stabe PAN - PALLADIUM AT NIGHT

Berlin 26.04.–08.06.2019

Ausstellungsansicht »PAN-Palladium at Night« REITER | Berlin prospect
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Ein Sprichwort besagt, dass bei Nacht alle Katzen grau sind. Damit soll ausgedrückt werden, dass in der Dunkelheit keine visuellen Unterschiede feststellbar sind. Eine Ausnahme bildet jedoch der Himmel selbst. Dort können Sterne funkeln, Flugzeuge mit Sternschnuppen verwechselt werden und die unterschiedlichen Mondphasen schließlich die Helligkeit der Nacht beeinflussen. Das außergewöhnlichste Ereignis, was jedoch am Nachthimmel stattfinden kann, ist der Blutmond. Dieser tritt in Erscheinung, wenn der Mond mit Sonne und Erde auf einer Achse und somit komplett im Kernschatten der Erde steht. Plötzlich ist die Nacht schon gar nicht mehr so grau, sondern ein orangeroter Kreis leuchtet am Firmament auf. Der Blutmond taucht auch immer wieder in den Arbeiten von Claus Georg Stabe auf. Aus der Dunkelheit der Nacht erscheint er in Seething Center (2018), leuchtet seine Umgebung aus, spiegelt sich sogar in ihr. In Palladium at Night II (2019) hingegen zeichnet sich bereits das Auflösen des Phänomens ab, indem ein helles Grün das tiefe Rot sanft beiseite zu schieben scheint. Der Titel der Arbeit, der zugleich auch der von Stabes aktueller Ausstellung bei REITER ist, bezieht sich passenderweise auf den gleichnamigen, geheimen US-amerikanischen Kommunikationssatelliten, der seit 2009 im Orbit schwebt, ohne dass je bekannt gemacht wurde für welche Zwecke.
Während die Intensität des Blutmondes davon abhängt, wie viel Schatten die Erde auf den Mond wirft, ergibt sich die kräftige Farbe bei Stabe durch die präzise Technik, die seinen Zeichnungen zugrunde liegt. Anders als es auf den ersten Blick zu vermuten ist, bestehen diese aus tausenden von Linien, die sich sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen auf dem Bildraum erstrecken. Hierbei variieren die Abstände nicht nur von Zeichnung zu Zeichnung, sondern auch innerhalb eines Bildes: Dichte Zeilen bringen Flächigkeit hervor, sodass konkrete Motive sich herausbilden; luftige Abstände erzeugen Dynamiken, die das Gesamtbild fluide wirken lassen. Doch jedem Bild geht eine Skizze und ein Konzept voraus, welches dann mittels Kugelschreiber und Lineal in die finale Zeichnung überführt wird.
In Claus Georg Stabes Zeichnungen gehen die Linien nicht spazieren (1), verirren sich nicht auf unbekannten Pfaden, sondern haben ein klares Ziel und laufen konzentriert darauf zu. Besonders spannend wird es allerdings, wenn die Linien einander auf diesem Wege treffen und sich die monochromen Kugelschreibersetzungen miteinander vermischen. Die überlagernde Tinte bringt dann neben neuen Farben auch einen erweiterten Moiré-Effekt hervor und die Rasterüberlagerungen wirken beinahe digital. In gleicher Weise, wie die Überlagerungen bei Stabe den marmorierenden Effekt erzeugen, wird das Auge auch getäuscht, wenn der Erdschatten den Mond überdeckt und ihn dadurch blutrot erscheinen lässt. Aus der Interferenz entsteht etwas Neues und genau darin liegt die Kraft dieser Bilder. Sie sind eine Absage an ein tradiertes Verständnis von Zeichnung. Sei es in den Mitteln, durch die sie produziert werden, den Techniken, mit denen sie arbeiten, oder die Bildmotive, die dargestellt werden. Aus diesem Grund werden sich in Claus Georg Stabes Grafikzeichnungen auch wahrscheinlich nie graue Katzen finden lassen, sondern wenn überhaupt pinkfarbene Kakadus (The Silent Guest II, 2017) – und so ist es genau richtig.


Text: Carina Bukuts

(1) „Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen“ – Paul Klee