Fountain of Youth - Der ‚Richard Mutt Case’ als Hintergrundrauschen im 21. Jahrhundert.
Leipzig14.01.–01.04.2017
Gemeinschaftsausstellung mit: Hans Aichinger / Mary Bauermeister / Lars Bjerre / Manuele Cerutti / Philipp Fürhofer / Steffen Junghans / Falk Messerschmidt / Philipp Modersohn / Sebastian Neeb / Nik Nowak / Sebastian Schrader / Thomas Sommer / Wanda Stolle / Elisa Strozyk / Marie von Heyl
2017 jährt sich Marcel Duchamps Einreichung einer handelsüblichen Sanitärkeramik mit dem Titel »Fountain« unter dem Pseudonym »R. Mutt« zur ‚Big Show’ der Society of Independent Artists in New York zum 100sten Mal. Der Skandal um die Ablehnung des Objekts durch das Organisationskomitee wurde auch als ‚Richard Mutt Case’ bekannt und diskutiert. Dieser von Duchamp mit Hilfe seines Freundeskreises lancierte Coup kann als ein frühes Exempel von Konzeptkunst bezeichnet werden.
Mary Bauermeister (geb. 1934 Frankfurt a.M.) war eine der prägenden Figuren der Avantgarde-Szene in den frühen 1960er Jahren. Nach ihrer ersten großen Einzelausstellung im Stedelijk-Museum in Amsterdam 1962 ging sie - angeregt vor allem durch Robert Rauschenberg und Jasper Johns - gemeinsam mit Karlheinz Stockhausen nach New York, fasste dort schnell Fuß und die wichtigsten Museen, darunter das MoMA, das Guggenheim, das Whitney in New York und das Hirshhorn Museum in Washington kauften Bauermeisters Arbeiten. Marcel Duchamp war fasziniert von Bauermeisters Werken und von ihrem Kunstbegriff, der sich in ihrem Konzept der Ready trouvé (analog zu den Ready mades) manifestiert und der in ihren Werken die Schönheit von natürlichem Material mit den Ideen von Dada und Fluxus verbindet.
Die Schau »Fountain of Youth« in Leipzig fragt nach, inwieweit Duchamps handstreichartige Ausweitung des Kunstbegriffs auf Denken und Arbeit jüngerer Künstlergenerationen nachwirkt. In diesem Sinne sind alle anderen beteiligten Künstler eingeladen, neben einem Werk aus ihrem originären Œuvre auch eine weitere Arbeit oder ein Fundstück einzubringen - ihr persönliches Ready made, Objet trouvé oder Found footage. In der Mitte des Raumes sind die auserwählten Artikel der 13 Künstler versammelt und abgelegt. In den Werkstatus erhoben finden sich unter anderem eine Hose, eine LED-Kerze, eine Spielzeugpistole, ein Hühnerkarton, ein Schuh aus Glas und eine Lautsprechermembran. Auf dem Podest wird der Aufstand der Dinge zur Kunst eine Behauptung. Die Befreiung vom ‚natürlichen’ Kontext und die Vereinnahmung vom zunächst abstrakten Anspruch, etwas anderes zu sein und zu bedeuten, wirken sich unterschiedlich aus. Auch die Korrespondenz zu den umgebenden Kunstwerken verschiedener Genres ist ambivalent. Ähnlichkeiten und Überschneidungen sind möglich und gewollt und Übergangszustände provozieren Fragen nach der Zuordnung und der Werthaltigkeit aller versammelten Ausstellungsstücke. Als ‚assisted readymades’ wie kombinierte Alltagsgegenstände, als ‚imitated rectified readymades’ wie reproduzierte und modifizierte Objekte, als ‚semi-readymades’ und in anderen Mischformen sind die Objekte kategorisierbar und verhältnismäßig.
Der Kunstbegriff hat sich im letzten Jahrhundert erweitert, ist durchlässiger geworden und die Frage aus dem Giftschrank der Theorie – Ist das Kunst? – hat ihren Skandalcharakter getauscht; mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Entertainment einerseits und einem forcierten Anspruch an intellektueller Mitwirkung am Event der Präsentation auf der anderen Seite. Die Nachwirkungen der Anfänge von conceptual art, von Dada und Fluxus sind lebendig, sie haben einer freizügigeren Rezeptionsweise Vorschub geleistet. Das Misstrauen gegenüber dem Ding oder Fundstück auf dem Sockel scheint geringer, die Bereitschaft, Idee und Konzept gleichwertig zu Ausführung und Vollendung anzuerkennen, ist gewachsen. Und der Betrachter will sich zunehmend als Co-Produzent von Bedeutung in der Werkgenese berücksichtigt wissen. Die Gruppenschau zeigt einen spannenden Querschnitt gegenwärtiger künstlerischer Positionen verschiedener Genres und die Teilnehmer verbindet, dass sie bereit waren, zusätzlich und aus Anlass des themengebenden Jubiläums ein »Objekt« zu ergänzen, das die Frage nach dem Werk an sich im Sinne Duchamps unter heutigen Bedingungen neu stellt. »Fountain of Youth« lädt ein, den Status quo des Kunstbegriffs zu testen. Der Appell an Denken und Vorstellung ist ausgesprochen.