1979 erscheint das Album »Unknown Pleasures« der Band Joy Division, darauf der Titel »Disorder«. Der unverwechselbar melancholische Sound und die verzweifelte Stimme des Sängers Ian Curtis, der nur wenige Jahre später den Freitod wählt, machen die Band weltbekannt.
Sebastian Schrader (*1978), ein Jahr vor Herausgabe des Albums geboren, gibt seiner Ausstellung 2019, vierzig Jahre später den gleichen Titel: »Disorder«.
Wie können wir das verstehen, gibt es eine Analogie in der formalen Herangehensweise oder ist es nur ein popkultureller Fingerzeig? Ein Verweis, der in die Irre führt?
Die sinistre Ästhetik, die der Musik eigen ist, scheint sich auch bei Schrader zu finden. Störungen soweit das Auge reicht: Kratzspuren, aufgerissene Bildebenen, geschichtet, verworfen und wieder neu geordnet. Versatzstücke. So hängt ein Arm viel zu klein am Körper oder dem was davon übrig ist. Trotzdem, das Bild stimmt nur so.
Aber die Bilder sind vor allem eins: dunkel mit figürlichen Fragmenten. Die schauen wie Inseln aus dem dunklen Meer. Das Dunkel ist aber nicht einfach nur Schwarz, es ist fein abgestuft und bildet die Basis. Der Hell-Dunkel-Kontrast zerhackt die Formen und erinnert wiederum an die abgehackten Gitarrenriffs der Band. Aber dieses Hell-Dunkel hat natürlich noch andere Wahlverwandte. Schrader kennt die Kunstgeschichte und greift ordentlich in deren Fundus. Die Lichtregie der Barockmaler ist ihm dabei genauso wenig fremd, wie die Kritzeleien eines Cy Twombly. Diese zeichenhaften Kürzel, tanzen munter über die Oberfläche, machen vor nichts und niemandem Halt. Mal sind sie formgebend und mal ironisch distanziert oder bleiben einfach nur rätselhaft.
In den Formen meinen wir Teile eines Schutzanzuges zu erkennen. Der entpuppt sich allerdings als leere Hülle, die etwas wichtiges verloren hat. Was eben noch schützenswert war, hat sich verflüchtigt oder ist ausgelöscht. Der Körper und mit ihm der Mensch ist nur noch an der Form ablesbar. Wohin er verschwunden ist bleibt unklar. Es gibt keine Gewissheiten, nur die Malerei.
Doch die Liebe mit der Schrader die Stofflichkeit der Falten herausarbeitet, lässt uns Dinge erahnen, die so nicht da sind. Wir sehen die Leiden Christi, die verschlungenen Gewänder die ihr Eigenleben erproben. Wir sehen, was wir kennen und Schrader weiß das. Ein flirrendes Licht, ein leuchtendes Rot und schon wandert er los, unser Geist. Der Maler legt Fährten, bedient sich bei Populär- und Hochkultur.
Indem Schrader den Anzug von seinem Inhalt befreit, scheint gleichsam eine Verwandlung möglich. So erleben wir nun eine Art Stillleben, in denen die Formen mit ihren vielen Schattierungen fast Blumenblüten ähneln. Schönheit und Schauer verbinden sich auf merkwürdige Weise.